Mehr als 50 Hochseilgärten gibt es in der Schweiz. Im Seilpark Interlaken, wo zur Hochsaison zehn Guides im Einsatz sind, gibt es keinen Mangel an Besuchern. Einblick in eine Branche, die wächst und gedeiht.
Text & Bilder: Tom Malecha
Es ist Juni. Die Zeit der Klassenreisen. Das merkt man auch im Seilpark Interlaken: Trotz der frühen Stunde ist der Park gut besucht, eine erwartungsfrohe fünfte Klasse drängt sich bereits an der Rezeption. Seilparks boomen, und das schon seit einigen Jahren. Dabei sind diese «Hochseilgärten» keine neue Erfindung – schon im 19. Jahrhundert experimentierte man in Frankreich mit einem Kletter-Parcours zur körperlichen Ertüchtigung. Mitte der 60er-Jahre entdeckten die Erlebnispädagogen dieses «Soft Adventure» für ihre Arbeit. Richtig durchgestartet sind diese als Freizeitaktivität dann Anfang der Nuller-Jahre: Mehr als 50 listet der Verband Seilparks Schweiz heute auf seiner Website auf.
«25’000 bis 30’000 Eintritte pro Jahr haben wir allein in Interlaken», rechnet Christoph Estermann vor, Managing Director bei Outdoor Switzerland. In dieser Holding haben sich mehrere Outdoor-Anbieter zusammengeschlossen, unter anderem auch der Seilpark Interlaken. Der Erfolg bringt aber auch Herausforderungen mit sich: «An Rekordtagen haben wir hier 380 Gäste. Dann müssen wir bis zu zehn Guides im Einsatz haben», erzählt Operations Manager David Frautschi.
Bevor es an die Kletter-Parcours geht, wird das Handling mit dem Sicherungsgerät und der Seilbahnrolle erklärt und geübt.
Ein paar Schritte weiter erklärt einer der Seilpark-Operateure geduldig den Schülerinnen und Schülern den Einsatz von Sicherungsgerät und Seilbahnrolle. Für die Sicherheit ist natürlich vor allem auch die Konstruktion des Parcours relevant. Hier gibt es verschiedene Normen und Vorschriften. Die Organisation der täglichen Abläufe liegt aber weitestgehend in den Händen der Betreiber. David Frautschi schätzt das so ein: «Die Branche ist mittlerweile in einer Phase der Professionalisierung. Wir haben unser eigenes internes Sicherheitskonzept entwickelt. Da haben wir genau beschrieben, was könnte passieren, was könnte gefährlich sein – und was für Gegenmassnahmen können wir ergreifen. Dazu gehört auch die regelmässige Kontrolle und Dokumentation des eingesetzten Materials.» Die Massnahmen sind offenbar erfolgreich – ausser ein paar blauen Flecken hier und einem Kratzer da sind Unfälle sehr selten.
Die Rettung von Besuchern aus den Parcours gehört für die Guides im Seilpark Interlaken fast täglich zum Programm.
Was aber immer wieder vorkommt: Die Guides müssen losziehen und Gäste aus dem Parcours retten, die nicht mehr weiterkommen. «Das passiert im Schnitt alle drei Tage zweimal», rechnet David vor. «Eine gute Einführung ist fast das Wichtigste. Aber gerade für uns in Interlaken ist das mitunter eine Herausforderung. In der Hochsaison haben wir extrem viele internationale Gäste. Mittlerweile habe ich einige Guides, die Arabisch sprechen, das hilft extrem. Die Sprache ist ein wichtiger Sicherheitsfaktor.»
Generell ist das Thema Personal anspruchsvoll. Viele Seilpark-Operateure machen den Job für zwei, drei Saisons und suchen sich dann etwas anderes. Aber für Christoph Estermann ist der Hochseilgarten auch aus anderer Sicht sehr spannend: «Für uns sind die Seilparks auch ein Sprungbrett. Technisch gesehen ist die Arbeit für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eher niederschwellig: Erst gibt es eine interne Schulung, dann Kurse von der Swiss Outdoor Association. Aber im Seilpark lernen die Leute, Gruppen zu führen, und das in einem mehr oder weniger geschützten Rahmen. Diese Leute können wir dann später für andere, anspruchsvollere Aktivitäten wie Canyoning oder Bungee übernehmen.»
David Frautschi, Operations Manager im Seilpark Interlaken gibt uns wertvolle Einblicke hinter die Kulissen eines Hochsseilparks
Ein Seilpark-Operateur muss körperlich fit sein und in den Sicherheitsmassnahmen geschult. Aber aus der Sicht von David Frautschi ist etwas anderes ebenfalls sehr wichtig: «Wenn du in der Hochsaison schon 27 Mal erzählt hast, dass du auf Parcours drei die Sprungschulung absolvieren musst, dann fällt es dir irgendwann schwer, freundlich zu bleiben. Da musst du eine extrem grosse soziale Batterie haben.»
Was einen gelungenen Seilpark ausmacht? Bei der Antwort sind sich Christoph Estermann und David Frautschi einig: Es muss etwas für jeden haben! Ganz einfache Routen, die kleine Kinder schon bewältigen können. Und ganz schwierige. «Wenn ich einen erfahrenen Felskletterer auf unseren schwarzen Parcours schicke und der sagt hinterher: ‘Jawohl, das war jetzt fordernd’, dann haben wir die Route richtig gebaut», beschreibt David seine Ambitionen.
Aber fast noch wichtiger ist das andere Ende des Spektrums. Christoph Estermann sieht das so: «Wir haben bewusst in die ganz einfachen Angebote investiert. Mehr oder weniger sobald die Kinder laufen können, finden sie bei uns einen passenden Parcours. Nicht zuletzt, weil die Preisbereitschaft der Gäste dann auch deutlich höher ist. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn das Foto fürs Grosi mit dem Gstältli zu machen ist, dann bezahlen die Gäste auch gerne etwas mehr, zumindest im Vergleich zu einem Angebot ohne Fixierung.»
Die Seilbahnen gehören sichtlich zu den beliebtesten Hindernissen im Hochseilpark
Der Schulklasse aus Lenzburg gefällt es jedenfalls hier: «Die Seilbahnen sind super!», sagt der eine. «Und Flurin ist an den dicken Seilen fast hängen geblieben», erzählt der andere hämisch. Nur für eins der Mädchen ist es das erste Mal im Seilpark, alle anderen haben bereits mit Freunden und Familie in die Baumkronen hineingeschnuppert. Wie gesagt, Seilparks boomen!
Das ihnen irgendwann die Gäste ausgehen, darüber machen sich weder David noch Christoph Sorgen: «Seilparks sind draussen, es ist Bewegung in der Natur. Und es ist eine nachhaltige Freizeitaktivität, wir produzieren fast keine Emissionen mit dem Betrieb. Damit entsprechen wir so vielen Megatrends der Gesellschaft, da bin ich optimistisch, dass der Trend stabil bleibt.»
Auch David ist mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Schliesslich macht er das Ganze schon seit mehr als zehn Jahren. «In meinem früheren Leben war ich Gärtner. Da haben die Kunden immer etwas zu meckern. Die Hecke ist zu krumm, der Baum zu gross. Hier im Seilpark ist der Spirit ein ganz anderer. Die Leute kommen her, um Spass zu haben. Und das spürt man, deswegen mache ich das auch schon so lange.»
David Frautschi gibt uns Einblicke in das Materiallager im Seilpark Interlaken