Zurück in die Zukunft: Klettern im Ecopoint-Stil  

Die Fränkin Sofie Paulus und der Schweizer Dimitri Vogt haben drei Sachen gemeinsam: Sie sind starke Felskletterer, Petzl-Athleten und sie setzen sich mit Ecopoint für einen nachhaltigeren Klettersport ein. Noch sind die Initiativen nicht vernetzt, aber es bewegt sich etwas in der Szene.  

Text: Nadine Regel 

Kurz vor der Zielgeraden in München bleibt der Zug stehen; technische Probleme an der Lok. Sofie Paulus schickt eine Nachricht aus dem Zug und entschuldigt sich. Ansonsten bleibt sie gelassen, was auch sonst: Der Zug ist das Fortbewegungsmittel ihrer Wahl, ein Auto hat die 27-jährige Sportkletterin aus Überzeugung nicht. Auf dem Weg nach Berchtesgaden will sie einen Zwischenstopp in München einlegen, um einen ihrer Sponsoren zu besuchen. Mit etwa 20 Minuten Verspätung rollt der Zug aus Nürnberg dann doch noch ein.  

Etwas komisch mutet das schon an, weil Sofie Paulus auf einer besonderen Mission unterwegs ist: „Wir wollen den Klettersport naturverträglicher und klimafreundlicher gestalten“, sagt die Fränkin, die schon seit 2018 Teil des Petzl-Athletenteams ist und aktuell ihre Doktorarbeit im Fach Sportökologie an der Uni in Bayreuth schreibt. Mit „Wir“ meint sie Ecopoint Frankenjura, ein Community-Projekt, das sich für eine nachhaltige Mobilität einsetzt. Speziell in Deutschland kein ganz einfaches Unterfangen – Stichwort Zuverlässigkeit – das hat Paulus schon oft am eigenen Leib erfahren. Dennoch überwiegen für sie die Vorteile: „Man ist flexibler, kann im Zug arbeiten und ist insgesamt stressfreier unterwegs“, sagt sie. Für das Interview nimmt sie auf einer Bank im Schatten Platz. Ihr bunt beklebtes Klappfahrrad, das sie extra für das Reisen im Zug gekauft hat, stellt sie neben sich ab. „Damit muss ich kein Bahnticket fürs Fahrrad kaufen“, sagt sie. 

Bekannte Vorreiter 

Möglichst emissionsarm an den Fels zu gelangen, ist keine neue Idee und mittlerweile in der internationalen Kletterszene angekommen. 2022 segelte der belgische Kletterer Sébastien Berthe von Spanien in die USA, um sich an der schwierigsten Mehrseillängenroute der Welt an der Dawn Wall im Yosemite Valley zu versuchen. Vergangenes Jahr radelten Tommy Caldwell und Alex Honnold mit dem Fahrrad von Colorado nach Alaska, um dort klettern zu gehen und auf den Schutz von Wäldern hinzuweisen. In Deutschland brachte vor allem die Allgäuer Kletterin Lena Marie Müller das Thema durch eines ihrer Kletterprojekte in die Öffentlichkeit. 2020 gelang ihr die vierte weibliche Begehung der Tradroute „Prinzip Hoffnung“ (8b/+) in Bürs in Vorarlberg – ohne motorisierte Anreise. Ganz zu schweigen von den Bergvagabunden des frühen 20. Jahrhunderts, für die das Fahrrad – mangels Alternativen – ganz selbstverständlich das Verkehrsmittel Nr. 1 bei der Anreise zu Berg- und Klettertouren war. So strampelte Hermann Buhl 1952 bei seiner Solobegehung der „Cassin“ in der Badile-Nordostwand von Innsbruck mit dem Velo ins Bergell. 

Sofie Paulus und Lena Marie Müller tauschten sich zu ihren Projekten aus und einigten sich in Anlehnung an Rotpunkt bzw. Redpoint, der Stilform des Freikletterns, auf den Begriff Ecopoint. Die Bezeichnung Greenclimbing, die Lena ursprünglich vorgeschlagen hatte, war da schon als Tradclimbing in einer Sportkletterroute bekannt. Gemeinsam mit Petzl drehte Sofie Paulus 2022 einen Film: Ecopoint – Take your time. Darin sieht man die junge Frau durch ihre hügelige Heimat Franken – bekannt für seine teuflischen Rampen – mit dem Fahrrad zum Klettergebiet strampeln. Durch die Anreise mit dem Rad, so Paulus, fühle sich der Klettertag wie ein komplettes Erlebnis für sie an. Auf dem Rückweg zum Zug oder nach Hause radele man durch die schöne Natur, entscheide spontan, an einem Teich oder einem Fluss anzuhalten und sich abzukühlen. Mit dem Auto sei man eher abgeschirmt und sehe viele schöne Ecken überhaupt nicht. 

In ihrem Film ‚Ecopoint – Take your time‘ demonstriert Sofie Paulus, dass Klettern auch ohne Auto hervorragend möglich ist und dadurch am Ende zu einem viel intensiveren Erlebnis wird. 

Nachhaltiger Kletterführer 

Aufbauend auf ihren Film rief Sofie Paulus schliesslich gemeinsam mit Nadja Hempel noch im selben Jahr die Initiative Ecopoint Frankenjura ins Leben. Ihre erste Aktion war es, für das Kletterfestival in Franken einen Shuttle-Bus zu organisieren – und nun ist ihr gemeinsamer Kletterführer erschienen: Ecopoint Frankenjura, ein Guide zur Anreise mit Bahn, Bus und Rad zum Klettern in Franken. Um den Kletterführer möglichst übersichtlich zu gestalten, unterteilten sie alle Kletterfelsen in 14 Untergebiete. Insgesamt zehn Autorinnen und Autoren waren beteiligt, testeten die Anreise in alle Klettergebiete mit Zug, Bus, Fahrrad und zu Fuss. Die Topos im Buch stammen vom Kletterverlag Panico, auf den Karten sind Radwege, Buslinien und Bahnstrecken eingezeichnet. Zusätzlich erhält man über einen QR-Code Zugriff auf digitale Komoot-Collections mit weiteren Rad- und Wanderwegen. „Wer eine eigene Komoot-Route entworfen hat, kann diese gerne hinzufügen“, sagt Paulus. Auf diese Weise soll das Wegenetz weiterwachsen.  

Der Kletterführer, der auf Spendenbasis erhältlich ist, passt auch gut mit ihrer eigenen Mission zusammen: „Leute gewinnst du nicht, wenn du ihnen Vorschriften machst, sondern indem du sie mitnimmst“ – und sie am Ende zu ihrem ganz eigenen Weg inspirierst. Unter Ecopoint Frankenjura versteht sie vielmehr den Beginn einer Bewegung. Paulus möchte andere Menschen dazu motivieren, sich ebenfalls zu engagieren – oder zumindest ihre Mobilität zu überdenken. In Franken gibt es zum Beispiel in vielen Ecken schon ein gut funktionierendes Busnetz – nur oft fahren die Busse leer durch die Gegend. Über die Gründung eines Vereins denkt die Projektgruppe bereits nach. Ihr Wunsch: dass sich Menschen eigenverantwortlich in Arbeitsgemeinschaften organisieren und gemeinsam am Thema nachhaltige Mobilität im Klettersport arbeiten.  

Sofie Paulus und Nadja Hempel präsentieren ihren neuen Kletterführer Ecopoint Frankenjura – ein Guide zur Anreise mit Bahn, Bus und Rad in die Klettergebiete der Fränkischen Schweiz. Mit einem klaren Ziel: Nachhaltige Mobilität im Klettersport voranzutreiben. 

Für uns geht’s um Skifahren, für andere ums Überleben 

Der Schweizer Petzl-Athlet Dimitri Vogt bringt sogar eine europaweite Ecopoint-Bewegung ins Spiel. Bisher sind die einzelnen Initiativen nämlich noch nicht vernetzt. Der ehemalige Wettkampfkletterer entschied 2019, auf das Fliegen zu verzichten und möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein. Das hing auch mit seinem Geologie-Studium zusammen, wo der 27-Jährige nicht nur die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge des Klimawandels erforschte, sondern auch auf die globalen Ungerechtigkeiten aufmerksam wurde.  

„Die meisten Veränderungen werden von reichen Industriestaaten verursacht, aber am stärksten leiden die darunter, die nicht viel dagegen unternehmen können, weil sie nicht die Mittel haben“, sagt Vogt, der aktuell an seiner Masterarbeit schreibt. Bei diesen Menschen gehe es bereits ums nackte Überleben, bei uns aktuell noch darum, ob wir in zehn Jahren noch Skifahren gehen können. Seine Einstellung habe sich irgendwann nicht mehr mit seiner Wettkampfkletterei vertragen. „Es war nicht mehr mein Ding, nur für zwei Tage irgendwo hinzufliegen, nichts vom Land zu sehen, und wieder zurückzufliegen“, sagt der Petzl-Athlet am Telefon. Heute konzentriert er sich vor allem auf seine Projekte am Fels. 

Den Gedanken der Nachhaltigkeit hat er damals auch in den Schweizer Kletterverband getragen. Die zentrale Lage der Schweiz ist da hilfreich, weil man viele Weltcups auch mit dem Teambus oder Zug ansteuern kann. Zudem halten die Teams Trainingslager möglichst im Alpenraum ab, um nicht fliegen zu müssen. Viele andere internationale Wettkämpfe sind aber schwer ohne Anreise im Flugzeug umzusetzen.  

Dimitri Vogt wünscht sich mehr Impulse vom Internationalen Kletterverband (IFSC). Zum Beispiel könnten sie die Wettkämpfe auf einem Kontinent zeitlich bündeln, um den Wettkampfkalender nachhaltiger zu gestalten.  

Norwegen mit Zug 

Über verspätete Züge in Deutschland kann der Schweizer indes nur müde lächeln. Er schwärmt vom öffentlichen Nahverkehr in seiner Heimat: „Unpünktlichkeit ist bei uns kein Thema und die Postbusse bringen dich noch in das hinterletzte Tal“. Er hat schon ganze Kletterprojekte im Ecopoint-Stil geschafft, darunter die Route „Schwarz Mönch“ (9a) bei Gimmelwald, wo er zu etwa 90 Prozent mit dem Zug angereist ist. Um 100 Prozent flexibel zu sein, hat sich Vogt ein studentisches Generalabo für den öffentlichen Verkehr gekauft, das kostet 3000 Franken pro Jahr. „Nicht günstig, aber auch ein Auto kostet viel in der Anschaffung, im Unterhalt und Sprit“, sagt er. Grundsätzlich finde er die Anreise mit dem Zug gemütlicher, aber klar, „du bist teilweise doppelt so lang als mit dem Auto unterwegs“, sagt Vogt.  

Das hält ihn aber trotzdem nicht davon ab, sogar weiter entfernte Kletterziele mit dem Zug anzusteuern. Vergangenen Sommer fuhr er mit dem Zug zum Klettergebiet Flatanger in Norwegen, wo Adam Ondra seine historische 9c „Silence“ gelangt. „Ein cooles kleines Abenteuer“ sei das gewesen, so Vogt, auf dem ihn die ökologische An- und Abreise bald noch eine Woche extra gekostet haben. Eine anstrengende, aber auch schöne Erfahrung sei das gewesen, wenn man realisiere, wie weit die Strecke tatsächlich ist und sieht, wie die Landschaft sich mit jedem Kilometer verändert. „Am Ende hat es mich glücklich gemacht, bewiesen zu haben, dass es auch mit den Öffis geht“, sagt er. Und für sich einen guten Weg zu einem nachhaltigeren Lebensstil zu finden, darum geht es schlussendlich bei Ecopoint. 

Dimitri Vogt entspannt im Zug und genießt die vorbeiziehende Landschaft. Trotz der längeren Reisezeit ist für ihn die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht nur umweltfreundlich, sondern auch ein Teil des Abenteuers.